Jindřich Štreit hat, ähnlich wie Josef Koudelka, Mitte der 60er Jahre angefangen, sich auf Fotografie der Landbevölkerung (zuerst nur Roma) – in den ehemaligen von Deutschen besiedelten Gebieten in Böhmen und Mähren – zu fokussieren. Hier ist Streit auch aufgewachsen. In den 70ern hat ihn die führende Fototheoretikerin und Kuratorin Anna Farova, welche durch ihre Freundschaft zu Josef Sudek einige Freiheiten hatte, entdeckt und in Prag ausgestellt. Aufgrund seiner direkten und den sozialistischen Alltag auf dem Land ungeschönt darstellenden Bildern, wurde er verhaftet und bekam ein völliges Ausstellungs- und Publikationsverbot, durfte aber absurderweise weiter fotografieren. So erschienen bis zur „Samtenen Revolution“ keines seiner Bilder in Ausstellungen oder Printmedien.

Auch viele seiner Negative wurden immer wieder beschlagnahmt und er bekam diese erst 1990 vollständig bei seiner Rehabilitierung vom tschechischen Staat zurück. Seine Fotografie ist eine Mischung aus Josef Koudelka (dieser typisch tschechische Poetismus und der Weltbeschreibung – abgründig, surreal tragisch wie auch lustig), mit Momenten von Anders Petersens „Cafe Lehmitz“, um zwei Eckpunkte zu nennen, welche mir immer sofort einfallen.

Wenn man aber weiß, dass er über fünf Jahrzehnte lang in den selben Dörfern, die Menschen und ihren Alltag fotografiert hat, schließt sich der Kreis zu einer einmaligen sozialen Dokumentarstudie, einer lang anhaltenden Lebensbeschreibung auf einem fotografisch extrem hohen Niveau. Vergleichbar mit der Arbeit von Eugen Atget über Paris oder auch den fotografischen Konzepten von Diane Arbus.

Mit der Vorbereitung der Veröffentlichung einer Monografie von Jindřich Štreit erfüllt sich unser Verlag einen lang gehegten Traum. Gemeinsam mit dem tschechischen Fotobuchverlag KANT Books werden wir eine Auswahl seiner Klassiker und unveröffentlichte Aufnahmen aus den Jahren 1965 bis 1990 im Sommer vorlegen. Wir sind bei verschiedenen Treffen gemeinsam mit dem tschechischen Fotobuchtheoretiker und Fotografen Vladimír Birgus durch Streits Archive gegangen, haben mittlerweile mehr als 1.500 Negative gescannt und archiviert. Vladimír Birgus wird auch einen Text über die Fotografie Jindřich Štreits für das Buch verfassen. Die Begegnung mit einem unserer Fotografie-Idole war wirklich magisch und inspirierend.

Copyright: Jindřich Štreit, „Arnoltice, 1985“

„Arnoltice, 1985“, auch bekannt als „Potato Harvesters“ wude 1990, neben vier anderen Bildern von John Szarkowski für die Fotografische Sammlung des MoMA angekauft. Die Vermittlung wurde von Robert Frank, mit dem Streit befreundet war, initiiert. Das Bild, damals wie heute eines der Highlights der ständigen Ausstellung im MoMA, zeigt die Gemeinschaft der Menschen und deren Arbeitsalltag. Es ist ein zentrales Thema in der Fotografie Jindřich Štreits, welche seit mehr als fünf Jahrzehnten das Leben auf dem Land in Böhmen und Mähren dokumentiert.