Die Berliner Fotografin Anno Wilms hat von 1967 bis 1993 das Jazzfest Berlin, eine der ältesten und angesehensten Jazz-Veranstaltungen Europas, vor allem aber seine Musiker und die mit Ihnen verbundene Aura in atmosphärischen Bildern festgehalten. Schon der erste Festivalleiter Joachim E. Behrendt wusste die ausdrucksstarken Porträts der Künstlerin zu schätzen und hat sie in seinen zahlreichen Publikationen zum Thema immer wieder aufgenommen. 2004 wurden mehrere ihrer Bilder in der Festivalchronik zum 40jährigen Jubiläum veröffentlicht, zehn Jahre später ist sie eine von fünf Fotografen/innen, die eingeladen wurden, ihre künstlerische Sicht auf den Jazz im Wandel der Jahrzehnte in einer Festivalausstellung vorzustellen.

Der nun vorliegende Bildband „Anno Wilms – Jazz in Berlin“, herausgegeben von Rainer Haarmann und der Stiftung Anno Wilms, umfasst 109 überwiegend unveröffentlichte und ganz auf die Ausdruckskraft der Musiker konzentrierte Bilder. Neben den großen Namen der Jazzgeschichte wie Miles Davis, Dizzy Gillespie und Dave Brubeck finden sich in der Auswahl auch eindrucksvolle Aufnahmen von weniger bekannten Künstlern wie James Booker, June Tyson oder Broner Suchanek.

Formales Bindeglied aller schwarz/weiss Fotografien ist eine radikale Reduktion auf Licht und Schatten. Für die aktuell weit verbreitete, ganz auf ästhetische Sachlichkeit und vor allem differenzierteste Gradation ausgerichtete Sehgewohnheit, stellt dies sicher eine Herausforderung dar. Buch und Bilder scheinen ein wenig aus der Zeit gefallen. Das Format des Bandes erinnert an LP-Cover. Glänzende Papieroberflächen und extreme Kontraste wirken in hohem Maße artifiziell.

Dominant und nachhaltig eindrucksvoll ist das tiefe Schwarz des Bühnenraumes, aus dem sich die Physiognomien der Künstler, ihre Instrumente und vereinzelt individuelle Stilmerkmale wie Leder-
oder Satinjacken, paillettenbesetzte Anzüge oder wildgemusterte Oberhemden fragmentarisch herausschälen. Bilder der Berliner Jazzszene, des Lebens um und mit dem Jazz, sucht man hier vergebens. Sowohl ästhetisch als auch motivisch sind die Jazzfotos von Anno Wilms bewusst nicht dokumentarisch sondern jenseits des klassischen Bildjournalismus in diesem Genre anzusiedeln.

Wissend, dass sie als Fotografin Klang und Virtuosität der Musiker nicht abbilden kann, hat sich Anno Wilms ganz auf die Suche nach der visuell erfassbaren Essenz jedes einzelnen Künstlers gemacht und versucht, diese in individuellen Gesten, Bewegungen und Gesichtslandschaften einzufangen. Herausgekommen sind Porträts von hoher Intensität und authentischer Charakteristik.

Anno Wilms – Biografische Angaben
Nach einem staatlichem Abschluss der Abteilung Fotografie des Lette-Vereins, Berlin im Jahre 1957 hat sich die 1935 in Berlin geborene Fotografin Anno Wilms als freie Bildjournalistin mit gesellschaftlichen Minderheiten und darstellenden Künsten, vor allem der schillernden Welt der Berliner Bühnen befasst und zahlreiche Bildbände veröffentlicht. In den berühmten Westberliner Nachtclubs entstanden in den 70er Jahren die Aufnahmen für Ihren Bildband „Transvestiten“, für den sie 1978 den Kodak Fotobuchpreis erhielt. Auf der Suche nach einem umfassenden Identitätsverständnis im Spannungsfeld von Realität und Vision galt ihr Hauptinteresse dabei dem Menschen und seinen individuellen Lebensbedingungen. Ein ganz eigenes Feld bilden die Architekturaufnahmen der Fotografin, mit denen sie, vornehmlich in Berlin und New York, die wichtigsten Bauprojekte ihrer Zeit in aussergewöhnlichen Kompositionen und Bildausschnitten festhielt. Anno Wilms ist 2016 in Berlin verstorben. 2020 wurden ihre Bilder unter dem Titel „Identität und Kontrast“ in einer Ausstellung der Collection Regard unter der Kuration von Marc Barbey erstmals wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Stiftung Anno Wilms
Der künstlerische Nachlass der Fotografin wurde noch zu Lebzeiten in eine Stiftung überführt. Stiftungsvorstand Gerald Winckler und die künstlerische Leiterin Dr. Nina Zenker, haben es sich zum Auftrag gemacht hat, das umfangreiche fotografische Werk zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung Anno Wilms befindet sich in den ehemaligen Wohnräumen der Künstlerin in der Xantener Straße in Berlin-Wilmersdorf.

Rainer Haarmann
Herausgeber Rainer Haarmann, von 1991 bis 2011 künstlerischer Leiter des Festivals JazzBaltica, ist Autor zahlreicher Bücher. 1989 erschien das von Eckart Gillen und ihm gemeinsam herausgegebene Buch „Kunst in der DDR“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch und 1996 gab er das im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln erschienene Buch von Ilya Kabakov „Musik auf dem Wasser“ heraus. Später veröffentlichte er u.a. die Bücher „Jazzbaltica“, „Longplay“, „Für Augen und Ohren“ und zuletzt im Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln seine Lebenserinnerungen unter dem Titel „Vom Klang der Bilder – Leben mit Jazz und Kunst“.

Text von Dr. Nina Zenker / www.stiftung-anno-wilms.com


Anno Wilms – Jazz in Berlin 1970-1993
Herausgegeben von Rainer Haarmann und Stiftung Anno Wilms
Berlin, Mai 2021
Gebundene Ausgabe mit 120 Seiten und 109 Abbildungen
Autoren: Rainer Haarmann, Gerald Winckler und Dr. Nina Zenker
Sprachen: Deutsch und Englisch
Gestaltung und Satz: Claudia Winckler
Litho und Triton Separation: Ana Druga

EUR 34,80
Format: 30,5 x 30,5 x 1,6 cm
Gewicht: 1,65 kg
ISBN: 978-3-00-068435-7


Das Buch kann über E-Mail bestellt werden: info@stiftung-anno-wilms.com
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Buchfotos von Julius Winckler, Berlin.