Pünktlich zum 75. Jahrestag des Kriegsendes liegt eine Neuauflage des Bildbandes „Berlin Mai 1945“ mit Aufnahmen des russischen Kriegsfotografen Valery Faminsky (1914–1993) von der Befreiung Berlins und den ersten Friedenstagen vor.
Faminsky gelangte mit den ersten Soldaten am 16. April 1945 in die umkämpfte Stadt, seine eigentliche Aufgabe war die Dokumentation der medizinischen Versorgung und Logistik von Transporten verwundeter Soldaten für die Militärmedizinischen Institute der Roten Armee. Mit diesen Legitimationen ausgestattet kann er sich in der Stadt frei bewegen und aufgrund seines (Foto)journalistischen, wie künstlerischen Interesses setzt er sich über das verhängte Verbot der Fotografie von Zivilbevölkerung, Not und Zerstörungen hinweg.
Faminskys Fotografien schildern ohne jede Propaganda und ohne jedes Pathos, dafür mit einem zutiefst humanistischen Blick, die völlig zerstörte Stadt, die erschöpfte Bevölkerung und den Alltag der russischen Truppen. Er zeigt die tiefe Sehnsucht nach Frieden und sein Interesse gilt immer den individuellen Schicksalen von Menschen auf beiden Seiten der Front. Fremdarbeiter auf dem Weg in die Heimat, deutsche Flüchtlinge, Zivilisten auf der Suche nach Angehörigen, Lebensmitteln und Wasser. Ein Alltag zwischen den Ruinen, der aus extremen Lebenssituationen besteht. In diesen Bildern begegnen sich Menschen, nicht Sieger und Besiegte. Wir sehen die Verletzungen und die Geretteten.
Am 22. Mai kehrt Faminsky mit seinen Aufnahmen nach Moskau zurück. Er veröffentlicht diese Bilder nie, sie werden in seinem Nachlass von den Enkeln entdeckt und diese bieten das knapp 500 Negative umfassende Archiv im Internet an. Der in Moskau lebende ukrainische Fotojournalist Arthur Bondar entdeckt und erwirbt das Archiv 2017 und macht die Bilder zum ersten Mal der russischen Öffentlichkeit zugänglich.
Die Aufnahmen haben die Designerin Ana Druga und der Fotobuchhändler Thomas Gust, welche die Entdeckung des Archives Valery Faminskys von Anfang an begleiteten so sehr beeindruckt, dass sie kurzerhand einen Buchverlag gründeten und die Fotografien in einem umfangreichen Bildband veröffentlichten. Im vergangenen November wurde das Buch mit der Silbermedaille des Deutschen Fotobuchpreises 2019/20 ausgezeichnet, die erste Auflage war schnell vergriffen und soeben ist die zweite Auflage erschienen.
Durch die Veröffentlichung des Bildbandes wird es den letzten wirklichen Zeitzeugen und allen „Nachgeborenen“ ermöglicht, eine unverfälschte Sicht auf die uns alle verbindende Geschichte zu werfen und diese zu reflektieren.
Faminskys Fotografien sollten in der Ausstellung „Neue Zeit?“ im Willy-Brandt-Haus in Berlin im Mai gezeigt werden, was jetzt auf den 10. September 2020 verschoben worden ist.